Arbeitszeitverkürzung

Die Arbeit ist da

Weniger arbeiten trotz Fachkräftemangel – in vielen Branchen ist das nicht möglich. Die Diskussion über flexible Arbeitszeitmodelle ist aber trotzdem sinnvoll.

Katharina Lehmann
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Es war ein Experiment: Vor einigen Jahren versuchten sich Betriebe und öffentliche Einrichtungen im schwedischen Göteborg an einem Sechs-Stunden-Arbeitstag. Zwei Jahre lang wurde die Arbeitszeit verkürzt, die Ergebnisse genauestens analysiert. Auch ein Altenheim machte mit, verkürzte die Arbeitszeit der Pflegerinnen und Pflege bei vollem Lohn und stellte zur Kompensation weitere Fachkräfte ein. Die Erfolge waren beeindruckend: Die Mitarbeitenden waren zufriedener, verspürten weniger Stress, waren weniger müde, und viele machten in ihrer Freizeit freiwillig Sport, was sich positiv auf ihre Gesundheit auswirkte. Nach zwei Jahren kehrte das Altenheim dann aber doch zum Acht-Stunden-Tag zurück. Das Problem: Die Kosten waren zu hoch.

Ob Sechs-Stunden-Tag oder Vier-Tage-Woche – Diskussionen um die Arbeitszeitverkürzung gibt es reichlich. Auch in Deutschland wollen viele Menschen weniger arbeiten. So zeigt eine im November veröffentlichte Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): Knapp die Hälfte der Frauen (49 Prozent) und 58 Prozent der Männer in Vollzeitstellen wollten 2021 ihre Arbeitszeit reduzieren. Immer wieder experimentieren auch Städte und Kommunen rund um den Globus mit verschiedenen Modellen. Immer wieder werden diese aber auch wieder auf Eis gelegt. Arbeitsmarktexpertinnen und -experten bezeichnen solche Arbeitszeitverkürzungen bei gleichbleibenden Löhnen oft als „extremen Kostenschock“ – finanzierbar nur, wenn zugleich die Produktivität massiv steige, etwa durch intelligentere Arbeitsorganisation oder den Mehreinsatz von Maschinen und Robotern.

Arbeitszeitverkürzung: Personalbedarf wird steigen

Das mag in der Industrie möglich sein; in personalintensiven Bereichen wie der Pflege funktioniert das nicht. Denn in Pflegeeinrichtungen muss rund um die Uhr Personal vor Ort sein. Das Dilemma: Zwar könnte die höhere Zufriedenheit aufgrund der kürzeren Arbeitszeit in einem solchen körperlich und psychisch belastenden Beruf helfen, mehr Menschen für einen Job in der Pflege zu begeistern – allerdings wird mit dem Verkürzen der Arbeitszeit auch der Personalbedarf größer. Dem Fachkräftebedarf ist so, zumindest in Branchen wie der Gesundheit und Pflege, aber auch in der Kinderbetreuung, im Handel oder im Handwerk nicht beizukommen. Arbeitsforscherin Prof. Dr. Jutta Rump vom Institut für Beschäftigung der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft in Ludwigshafen versteht den Wunsch nach Entlastung. Aber: „Die Arbeit ist da. Und im Dienstleistungsbereich kann man davon ausgehen, dass die Kundengruppe in Zukunft auch nicht kleiner wird.“ Eine reine Arbeitszeitverkürzung würde nur noch mehr Druck für die Beschäftigten mit sich bringen.

Fachkräftelücke kommt erst noch

Und der steigt aufgrund fehlender Fachkräfte in vielen Branchen sowieso schon. Nicht nur in Handel, Handwerk, Betreuung und Pflege fehlen Nachwuchs- und ausgebildete Arbeitskräfte. Fast die Hälfte aller deutschen Betriebe konnte dem IAB zufolge in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres ausgeschriebene Stellen nicht besetzen. Heute fehlen in Deutschland rund zwei Millionen Fachkräfte – quer durch alle Branchen beklagten Unternehmen einen zunehmenden Arbeits- und Fachkräftemangel. Und die große Schrumpfung steht noch bevor. Zwar gehen schon heute mehr Menschen der Generation Babyboomer in Rente, als Junge auf dem Arbeitsmarkt nachrücken. Die geburtenstärksten Jahrgänge der Jahre 1963 und 64 verabschieden sich aber erst im Jahr 2030 in den Ruhestand. Zwischen 2025 und 2035 kommen 13,5 Millionen Menschen ins Rentenalter.

Um diesem Fachkräftemangel zu begegnen, brauche es Arbeitsmarktexperten zufolge mehr Einwanderung Hochqualifizierter und die schnellere und bürokratielose Integration nicht deutscher Arbeitskräfte in den Arbeitsmarkt. Aber auch die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und nicht zuletzt flexible Arbeitszeitmodelle statt einer generellen Arbeitszeitverkürzung können ein Mittel zur Lösung sein. Je nach Lebenssituation müsse es Jutta Rump zufolge die Möglichkeit geben, die Arbeitszeit zu reduzieren und wieder hochzufahren. „Für mich wäre das Ziel, dass Menschen souverän und lebensphasenorientiert mit ihrer Zeit umgehen können.“ Und nicht zuletzt müssten Betriebe – zumindest in Bereichen, in denen das möglich ist – Roboter, Algorithmen, Künstliche Intelligenz und digitale Technologien ins Boot holen. „Diese führen dazu, dass Routinetätigkeiten durch Systeme übernommen werden. Und das wiederum schenkt dem Menschen Zeit.“

Erschienen Dezember 2023 in Unsere Zukunft